Blumen in meinem Uterus
Warum ich mit meinen 24 Jahren das Recht haben will, mich sterilisieren zu lassen – und warum mich meine Gebärmutter an eine Vase erinnert

„Kann ich mich nicht einfach sterilisieren lassen?“ diese Frage stellte ich vor etwa acht Jahren das erste Mal laut, da war ich 16. Sie ist mir einfach rausgerutscht, wie etwas, was man eigentlich nicht fragen darf. Mein Frauenarzt schaute mich damals irritiert an und hat die Frage sofort mit einem Lächeln verneint. Erklärt hat er es mir nicht, er hat mich auch nicht gefragt, wie ich auf so was komme. Ich fühlte mich nicht ernst genommen.
Nicht mal fünf Minuten zuvor war er gefühlt Ellenbogen-tief in mir drin und machte die jährliche Untersuchung, durch die jede Frau muss. Ich geh zum selben Frauenarzt, seit ich meine Periode bekam. Ich besuche dieselbe Praxis mit diesem Bild an der Decke, genau über dem Gynäkologen-Stuhl. Das Bild, das ich anschaue, wenn mich der Arzt untersucht, zeigt Robben. Ich könnte sie malen, so oft lag ich dort.
Dass ich damals diese Frage gestellt hatte, kam nicht aus dem Nichts. Gesundheitlich hatte ich damals schon lange Streit mit meiner Gebärmutter. Also dachte ich: Wenn ich nicht schwanger werde in meinem Leben, habe ich endlich Frieden mit ihr. Ich bekomme ein echt mulmiges Gefühl, wenn ich mir vorstelle schwanger zu werden. Wenn ich daran denke, ist es, als würde mir übel. Wenn meine Gebärmutter schon ohne die Höchstleistung einer Schwangerschaft mit mir streitet, wie würde sie dann wohl erst rebellieren?
Dieses Nein des Arztes, als ich 16 war, war für ihn nur ein kurzes Nein. Für mich aber war es ein Fixpunkt in meinem Leben. In mir wuchs ein
Gefühl von Frustration: Warum darf ich nicht entscheiden, was mit meinem Körper passiert?
Nebenher habe ich gegoogelt. Las irgendwo, man müsse mindestens 30 sein, um sich als Frau sterilisieren zu lassen. Las in einem Forum, in einem Beitrag, den ich heute nicht mehr finde, eine angeblich wahre Story, die mich noch mehr frustrierte. Da war von einer junge Frau die Rede, so erinnere ich mich, die geheiratet habe, nur um das Recht zu haben, sich sterilisieren zu lassen. Weil so ihr Ehemann angeblich unterschreiben konnte, dass ihre Kinderplanung abgeschlossen sei. Ich war vielleicht 18 und dachte: Also hat mein potenzieller Ehemann mehr Rechte über mich als ich selbst? Was für eine Ungerechtigkeit. In welchem Jahrhundert lebe ich eigentlich? Mit diesem Glauben lebte ich jahrelang, ohne zu wissen, ob er ein Irrglaube war. Richtig weiterrecherchieren, wie ich es heute als Journalistin täte, wollte ich gar nicht. Mir schien das Thema viel zu frustrierend.
Und wirklich offen reden konnte ich über meinen Wunsch auch mit niemanden. Zwar schämte ich mich nicht für den Wunsch nach Sterilisation, aber ansprechen wollte ich ihn auch nicht. Wenn, dann eher indirekt: Meiner Mutter sagte ich oft, von mir bekomme sie wohl keine Enkel. Mit den allermeisten Freundinnen und Freunden wollte ich auch nicht darüber reden. Mein Arzt schien vorerst alles zum Thema gesagt zu haben: „Nein“.
Seit acht Jahren weiß ich also, dass ich keine Kinder kriegen möchte. Ich weiß natürlich, dass eine Sterilisation eine weitreichende Entscheidung ist. Ich mache aus meinem gebärfähigen Körper einen, der höchstwahrscheinlich keine Kinder mehr auf natürliche Weise bekommen kann. Das ist eine Entscheidung, die keine Frau leichtsinnig treffen darf, das weiß ich. Ich verstehe auch, dass sich meine Meinung, wenn ich älter werde, noch mal ändern kann. Aber habe ich nicht dennoch das Recht zu entscheiden, was mit meinem Körper passiert? Wirklich nicht?
Wenn ich mit guten Freunden über meinen Wunsch redete, keine Kinder haben zu wollen – von Sterilisation erzählte ich ihnen schon gar nichts –, war da immer gleich die Frage, fast schon entsetzt: „Warum?“ Wir leben, das wurde mir klar, in einer Gesellschaft, in der Kinder kriegen das Normalste ist, was eine Frau machen kann. Und freiwillig keine Kinder zu
kriegen, das Unnormalste.
Wenn mich also mal wieder jemand „Warum?“ gefragt hat, habe ich meine Gesundheitsgeschichte erzählt. Ich erzähle sie also auch hier. Achtung, Männer: Sie ist nichts für schwache Nerven.
Mit neun Jahren habe ich das erste Mal meine Periode bekommen. Und damit begann der Schlamassel. Ich litt fortan jeden Monat. Und ein paar Jahre später, ich war vielleicht elf, hatte ich das erste Mal eine Zyste in meiner Gebärmutter. Und diese platze auch noch. Mehrmals im Schuljahr fehlte ich, da ich extreme Periodenkrämpfe hatte. Mein Frauenarzt nannte sie einmal „wehenartig“. Um die Schmerzen zu lindern,wurde mir damals schon, noch als Kind, die Pille verschrieben. Ich nahm sie durch, um meine Tage nur einmal im Halbjahr zu bekommen. Ich war trotzdem ständig mit Beschwerden bei meinem Gynäkologen, dem mit den Robben.
Und dann hatte ich, da war ich 18 und kannte schon das Nein meines Gynäkologen, kurz vor Weihnachten 2016 mehr als einen halben Monat lang Blutungen. Ich wollte nicht wieder zum Arzt und hätte es am liebsten verheimlicht. Als ich endlich beim Gynäkologen und den Robben war, habe ich erfahren, dass ich ein Gewächs in meinem Uterus hatte, so groß wie ein Golfball, sagte mir der Arzt. Unter Vollnarkose wurde meine Gebärmutter ausgeschabt. In seltenen Fällen kann eine Ausschabung die Gebärmutter von innen so beschädigen, dass eine natürliche Schwangerschaft nicht mehr möglich ist. Ob es bei mir damals passiert ist? Keine Ahnung. Es würde mich aber nicht stören.
Kein halbes Jahr später hatte ich wieder einige Wochen lang Blutungen, diesmal so stark, dass ich ins Krankenhaus musste. Dort bekam ich Blutverdünner, damit das neue Gewächs in meiner Gebärmutter sich von selbst löst. Das klappte sogar. Tage später bekam ich das erste Mal eine Hormonspirale eingesetzt. Diese setzt ein Hormon frei,
was den Schleim im Gebärmutterhals dicker macht und den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut mindert. Bei vielen Frauen mit einer Hormonspirale bleibt die Periode fast ganz aus – das passiert auch bei mir. Seither geht es mir besser. Meine Periode hat ihren Schrecken verloren.
So. Und nun fragen Sie sich mal bitte, ob Sie, wenn Sie so eine Gebärmutter hätten, schwanger werden wollten?
Also ich will das nicht. Außerdem bin ich bi. Von der Hälfte meiner potentiellen Partnerinnen und Partner kann ich eh nicht schwanger werden. Trotzdem dachte ich immer daran: Wenn ich mich doch nur sterilisieren lassen dürfte. In meinem Kopf war das die Lösung aller Probleme mit meinem Uterus. Mein Denken, so irrational es gewesen sein mag: Durch die Sterilisation wird dieses Organ in mir endlich nutzlos gemacht. Dann habe ich Ruhe. Dann ist meine Gebärmutter für immer ein leeres Gefäß. Ein Deko-Objekt, eine Vase, in die man höchstens
Blumen stellen könnte.
Eine Sterilisation erschien mir wie eine kleine Rache an dem Organ. Es sollte sich mal nicht so wichtig nehmen.
Ich hatte – und habe bis heute – auch noch ein paar andere Gründe, nicht schwanger werden zu wollen. Alles furchtbar unpopuläre Ansichten. Zum Beispiel: Ich verspüre tief in mir drin das Bedürfnis, dass ich die Welt sehen möchte. Das ist sicher auch egoistisch, aber andere dürfen auch aus egoistischen Gründen Kinder kriegen. Ich will reisen, will unabhängig sein und mich an keinen Ort binden. Wenn ich mir meine Zukunft in zehn Jahren vorstelle, also mit 34, dann habe ich keine Kinder. Dann habe ich eine Wohnung in einer Großstadt, zu der ich immer wieder zurückkehren kann. Ich würde die Welt fotografieren und von meinen Recherchereisen als Journalistin berichten. Hoffentlich wäre eine Partnerin oder ein Partner dabei, der das auch so will. Kinder passen nicht in diesen Traum, weil Kinder, glaube ich, einen festen Ort brauchen zum Großwerden. Ich habe meinen festen Ort bei meinen Eltern jedenfalls geliebt. Außerdem sollten Kinder in Sicherheit groß werden. Ich will aber auch Kolumbien, Afghanistan und den Kongo bereisen.
Und dann gibt es noch einen Grund: Ich habe Angst. Angst, etwas falsch zu machen und Angst davor, eine schlechte Mutter zu sein. Ich bin in einer behüteten Welt aufgewachsen, in einer Welt, in der ich immer wusste: Da ist jemand, der auf mich aufpasst. Trotzdem konnten meine Eltern mich nicht vor allem beschützen. Nicht vor Mitschülern, die mich gemobbt haben. Die Angst davor, dass meine Kinder so etwas ebenfalls erleben könnten und ich sie nicht beschützen kann, ist groß.
Ich denke auch an das Klima und die Umwelt, wenn ich an Kinder denke. Noch mehr Menschen auf der Erde machen die Probleme nicht kleiner. Und ein Kind von mir müsste noch länger auf dem Planetenleben, auf dem es dann vielleicht nicht mehr so schön ist.Und je länger ich weiß, dass ich kein Kind haben will, desto stärker wird ein weiteres Gefühl: mein Trotz. „Ach, das ändert sich schon noch. Du musst nur den richtigen Mann kennenlernen.“ Wie oft habe ich das schon gehört? Ich sehe mich aber nicht als ein Wesen, dessen Einstellung sich ändert, wenn ein Prinz in sein Leben tritt. Was mich aufregt: Wenn meine Freundinnen, die gleichalt oder sogar etwas jünger sind, sagen, dass sie auf jeden Fall Kinder haben möchten, dann ernten sie für diese Aussage Applaus. Aber Moment mal, denke ich: Ich dachte, Frauen in meinem Alter ändern ihre Meinung noch so oft?
Und überhaupt: Wer ein Kind bekommt, kann diese Entscheidung auch nie wieder rückgängig machen. Dafür ist man aber mit 24 alt genug? Alle Welt wünscht sich doch, dass Frauen nicht erst mit Mitte 30 Mütter werden. Sieht niemand den Widerspruch? Frauen mit Kinderwunsch werden ernst genommen, Frauen ohne Kinderwunsch sind nur wankelmütige Wesen.
Dabei kann ich ja nachvollziehen, warum jemand Kinder haben möchte. Kinder scheinen viele glücklich zu machen. Sie sind unsere Zukunft, sie können später etwas bewegen und die Welt verändern. Der Gedanke, mit einem Partner ein Lebewesen zu kreieren, ist ja nicht reizlos. Es ist eben nur nicht mein Gedanke.

Es dauerte von dem Nein meines Frauenarztes, dem mit den Robben, bis zu diesem Herbst im Jahr 2022, also ganze acht Jahre, bis ich die Sache hinterfragen wollte: Stimmt das wirklich: Muss man wirklich 30 Jahre alt sein? Und ansonsten verheiratet? Ich wusste ja bislang so furchtbar wenig über das Thema. Es liegen ja keine Faltblätter in Hochschulen oder bei Ärzten rum: „Was tun, wenn man sich sterilisieren lassen will?“ Die einzige Beratung, die ich bislang hatte, war der einsilbige Arzt.
Inzwischen Journalistin und 24 Jahre alt, recherchiere ich genauer und stoße auf den Verein Selbstbestimmt Steril in Leipzig. Auf der Website dieses Vereins finde ich eine Deutschlandkarte mit 33 Ärzten und Kliniken, die, so heißt es da, Frauen unter 30 sterilisieren.
So schwierig scheint es also doch nicht zu sein. Ein Gefühl von Erleichterung macht sich in mir breit. Es gibt Ärzte, die mir vielleicht wirklich glauben, dass meine Entscheidung durchdacht ist und die mir zugestehen, über meinen Körper zu entscheiden. Wahnsinn, denke ich. Es geht also doch.
All das, was ich glaubte, waren Mythen, transportiert durch das Internet. Fast schon eine Kränkung, dass ich an Internetmythen glaubte. Tun das sonst nicht nur Impfgegner und Trump-Wähler? Ich wäre nicht draufgekommen, dass es mich treffen könnte.
Warum hat mich mein Arzt damals nicht aufgeklärt, obwohl er mir doch davor und danach immer alles geduldig erklärt hat? Vielleicht, weil ich damals noch nicht mal 18 war? Mein Wunsch kam ja auch unverschämt früh.
Das Mindestalter variiert, lese ich auf der Seite des Vereins, von Klinik zu Klinik. Ein paar Anrufe: Ein Frauenarzt in Nürnberg, der nächste von Ansbach aus gesehen, erreiche ich auch nach dem fünften Versuch nicht. Eine Arzthelferin in einer Dortmunder Klinik erklärt mir: Wenn alles passt, kann nach Aufklärungsgespräch und Untersuchung gleich ein Termin zur OP vereinbart werden. Das koste 520 Euro.
Wow, dachte ich, so einfach ist das? Geht es noch günstiger irgendwo? In einer Tagesklinik in Sachsen kostet der Eingriff sogar 835 Euro. Ich habe so viel Geld nicht übrig. Und meine Krankenkasse, erfahre ich, würde mir sehr wahrscheinlich nicht helfen. Wenn mir der Eingriff medizinisch helfen und meinen Zoff mit meiner Gebärmutter schlichten könnte: was wäre das für eine Erleichterung. Aber dass der Eingriff dies täte, war ja in all den Jahren reines Wunschdenken. Mit einem Arzt hatte ich ja nie wirklich darüber gesprochen. Ich kontaktiere also einen Frauenarzt in Ansbach, Stefan Schwarz. Ich kriege einen Termin mit ihm, per Telefon, die Praxis wurde gerade umgebaut.Ich bin aufgeregt, als ich ihn anrufe. Das Gespräch beginnt gut, ich höre, was ich hören will: „Wir leben zum Glück nicht in einer Welt, in der Frauen verheiratet sein müssen, damit sie entscheiden können, ob sie sich sterilisieren lassen wollen.“ Mich würde er allerdings nicht sterilisieren. Er sterilisiere nur Frauen, die 30 sind oder schon einige Kinder haben. Es gibt ja noch die Kliniken von der Liste, denke ich, und bin nicht allzu enttäuscht.
Stefan Schwarz hat aber doch noch richtig schlechte Neuigkeiten für mich: Eine Sterilisation würde mir gesundheitlich gar nicht helfen, sagt er. Der Zyklus verändere sich in den meisten Fällen durch die Sterilisation nicht. Die Eizellen bilden sich immer noch, sie gelangen nur nicht mehr in die Gebärmutter. Die Periode findet ganz normal statt. Ich bräuchte wie bisher die Spirale, um die Blutungen in den Griff zu bekommen. Und die habe übrigens ähnlich hohe Verhütungssicherheit wie die Sterilisation, erklärt er mir. Die Sterilisation würde mir also wirklich gar nichts bringen. Warum hat mir das vorher niemand erklärt? Ich bin fassungslos. Ich musste 24 Jahre alt werden, um aufgeklärt zu sein. Warum? Jetzt stelle ich mal diese Frage. Ich nehme an, weil die Sterilisation der Frau ein Tabu-Thema ist. Über die Periode zu reden, das lernen wir gerade. Aber soweit, über die Sterilisation zu reden, sind wir noch lange nicht.
Was bedeutet nun meine Recherche? Als Individuum kann mir nicht geholfen werden, selbst wenn ich die 520 Euro in der Tasche hätte. Ich werde es also nicht tun, zumindest vorerst nicht. Und das, merke ich in den Tagen nach dem Telefonat mit Stefan Schwarz, ist mir sogar ganz recht. So viel Ehrlichkeit muss sein. Vielleicht regt sich ja doch noch mal dieser mir heute so fern liegende Wunsch, mit einem Mann auf natürliche Weise ein Kind zu kriegen.
Auch wenn ich den Eingriff nun gar nicht machen lassen werde: Mich regt es trotzdem auf, dass er mir als 24-Jährige so schwer gemacht wird. Frauen kämpfen seit Jahrhunderten für das Recht an ihrem eigenen Körper. Ich sollte entscheiden dürfen, was mit mir passiert. Viel mehr Ärzte sollten jungen Frauen dieses Recht zugestehen und ihre Wünsche ernstnehmen. Kinderwunsch und sein Gegenteil, beide sind doch gleichberechtigt.
Autorin: Maria Siepmann, Foto: Lea Hofmann, Illustration: Sandra Hoch