Unter Demonstranten

Gegen Masken, gegen Inflation und für Putin. Ende Oktober gingen Protestierende in Ansbach auf die Straße. Sechs KASPAR-Redakteure schildern ihre Eindrücke

Das Bild zeigt Demonstrierende in Ansbach. Auf ihren Schildern steht "Friedensnobelpreis für Wladimir Putin" oder "Der Staat und unsere Politiker versagen, zu viele sehen zu."
Wir zählten rund hundert Demonstranten – weit weniger als im vorigen Jahr

Wir wollten zu dieser Demonstration nicht nur einen Reporter und eine Fotografin schicken. Wir wollten eine Gruppe sein, falls wir als Journalisten angepöbelt werden oder in Bedrängnis geraten. Im Jahr 2021 dokumentierte das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit 83 Angriffe auf Journalisten in Deutschland, drei Viertel davon ereigneten sich auf Demos gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Und wenn wir schon so viele Reporter dort hatten, wollten wir das natürlich auch für die Berichterstattung nutzen. Wir schreiben aus sechs Perspektiven. Das Stadtmagazin KASPAR hat versucht, mit den Demonstrierenden ins Gespräch zu kommen – geklappt hat es nicht wirklich. Kein Protestler wollte seine Meinung mit seinem Namen vertreten.

Höflichkeit und Hass
Von Marc Tawadrous
Ich halte Ausschau nach dem Organisator der Demo und entdecke einen Mann, auf dessen Weste „Versammlungsleiter“ steht. Er ist geschätzt um die 45, hat eine Halbglatze, eher kräftige Statur. Ich spreche ihn an. Er ist höflich, professionell. Er weiß offenbar, wie er sich Journalisten gegenüber verhalten sollte. Markus S. sagt, er wolle nur den Menschen eine Stimme geben. Seine persönliche Meinung spiele auf der Demo gar keine Rolle. Ich könnte ihm das vielleicht glauben, hätte ich ihm nicht eine halbe Stunde davor zugehört, als er die Demo eröffnet hat. S. schrie dabei in das Mikrofon. Seine Rede gipfelte in die These, wonach die Veranstalter einer Demonstration für Frauenrechte im Iran Faschisten seien. Die Antwort der Menge: tosender Applaus. Im Internet macht S. Stimmung gegen Politiker der Grünen, die Bundesregierung und gegen die Corona-Impfung. Laut einer Recherche des Bayrischen Rundfunks hat er Verbindungen in die rechte Szene, verteidigt auf Telegram die NPD und sichert der Partei zu, dass sie in Ansbach immer einen Platz haben werde. Am Ende der Demo heizt S. die Menge, es sind etwa hundert Menschen, noch mal ein und fordert sie auf, zur nächsten Demo zu kommen. Wieder jubeln die Menschen, die sich im Halbkreis um ihn versammelt haben.
Nachtrag: Zur nächsten Demo in Ansbach erschienen weit weniger Menschen.

Demonstrierende mit Deutschlandflagge. Auf ihren Schildern steht "Wir wollen Frieden und Freundschaft mit allen Nationen!" oder "Wer haftet für Impfschäden? Hersteller und Politiker NICHT!"
Einem Demonstranten ist es offenbar wichtig, seine Nationalität preiszugeben

Wenn nur die Schilder reden
Von Luisa Stamenkovic
Mittendrin und nicht zu übersehen: die Deutschlandflagge. Ihr Besitzer ist ein Mann, der im Fünf-Sekunden-Takt „Aufwachen!“ ruft. Und dass hier auch wirklich jeder aufwacht, dafür sorgen zwei Trommler, die voller Tatendrang auf ihre Instrumente schlagen. Ich laufe durch die Menge und schaue mir die Schilder an, die die Teilnehmer hochhalten. Sie wurden vom Team Menschenrechte aus Nürnberg zur Verfügung gestellt, sind also nicht ausgedacht von denen, die sie hochhalten. Auf der Internetseite von „Ansbach steht auf“ ist zu lesen, dass die Demonstranten gemieden werden und sie nicht gehört würden. Ich nehme mir vor, das Gegenteil zu tun. Doch als ich versuche, die Demonstranten zu fragen, weshalb sie protestieren, habe ich eher das Gefühl, dass sie mich nicht hören wollen. Ich werde gemieden, bevor ich überhaupt etwas gefragt habe. Andere führen zwar Gespräche mit mir, erlauben mir später aber nicht, zu schreiben, was sie mir gesagt haben. Die Bewegung wünscht sich angeblich Diskussion. Ich finde niemanden so richtig, der mit mir offen diskutieren will.

Eine obskure Visitenkarte
Von Lennart Bonk
Drei Jungs, vielleicht zwölf Jahre alt, warten auf einer Bank an der Promenade auf den Bus. Einer der drei fragt mich nach einer FFP2-Maske für den Bus. Er berichtet, er habe wenige Minuten zuvor eine Demonstrantin ebenfalls nach einer Maske gefragt. Sie drückte ihm bloß eine Visitenkarte in die Hand. Er zeigt mir die Karte, sie stammt vom rechten Medienportal Alternatives Unabhängiges Fernsehen. Auf dem Portal werden Verschwörungsmythen verbreitet. In der Wochenzeitung Die Zeit wird es „als gemeinsames Projekt der extremen Rechten und der Querdenkerszene“ beschrieben. Den drei Jungs wurde der Schlüssel in die Welt der Lügen und des Rechtsextremismus überreicht. In meiner Tasche ist noch eine FFP2-Maske. Ich gebe sie dem Jungen, im Tausch gegen die Visitenkarte, bevor er auf dem Portal noch mehr Propaganda zu lesen bekommt.

Demonstrierende halten Schilder auf denen "Faire Löhne und Arbeitsbedingungen statt Impfpflicht für Pflegeberufe!" oder "Sozialer Ausgleich statt Inflation und Armut!" steht.
Die Schilder stammen von einer Organisation aus Nürnberg

Bedrohliche Nähe
Von Maria Siepmann
Ich war auf der Demo als Fotografin unterwegs. Nicht nur ich fotografierte die Demonstranten, auch sie fotografierten mich – mit ihren Smartphone-Kameras. Was mit den Aufnahmen geschieht? Keine Ahnung. Ich hoffe, ich sehe gut aus, falls Fotos von mir später in den Telegram-Gruppen der Szene kursieren. Ich hörte Unschönes wie „Scheiß Journalistenschlampe“ und habe mich nicht davon beirren lassen. Doch dann bemerkte ich, wie sich ein Mann um die 60 von der Gruppe löste. Ich fotografierte ihn, wie er auf mich zukam. Er nahm seine Mütze ab und hielt sie mir dicht vors Gesicht. „Diese Kappe kannst du dir ganz genau merken. Alle Fotos damit löschst du direkt“, sagt er mir. Es klang bedrohlich. Einer der Ordner kam mir zur Hilfe: „Sie darf das, es gibt Pressefreiheit.“ Und: „Wir klären das schon.“ Gruselig. Die letzte Drohung, die ich noch hörte: „Hört doch jetzt mal auf, Fotos zu machen, sonst zerbreche ich gleich die Kamera.“ Ich war froh, dass ich nicht allein auf der Demo war.

Milde belächelt
Von Nathalie Haack
Ich wollte an diesem Nachmittag das Gespräch mit den Passanten suchen, die die Demo nur aus der Distanz verfolgen, ohne sich ihr anzuschließen. Zwei Mädchen im Teenager-Alter beobachten die Demo und kichern. Ich spreche sie an. Ihnen fällt auf, dass kaum junge Menschen auf der Demo sind. Erneutes Kichern. Auch ein Mann auf der anderen Straßenseite findet die Demo eher lustig. Er trägt knielange Hosen und genießt ein Eis, es ist ein warmer Tag. Als ich ihn anspreche, sagt er immer wieder, man könne die Demonstranten nicht ernst nehmen. Das scheint die Haltung der Ansbacherinnen und Ansbacher zu sein an diesem Tag: belächeln statt ernst nehmen. Keiner derjenigen, der die Demo am liebsten weglächeln möchte, verrät mir seinen Namen. Anders dieser Passant: Steffen Mühlbauer, er ist 43 Jahre alt, wohnt in Ansbach, und er wirkt eher nachdenklich als belustigt. Dass „Ansbach steht auf“ Montagsdemos angekündigt hat, ein Begriff, der an die Revolution in der DDR erinnert, findet er unpassend. Mühlbauer lächelt nicht, als er das sagt.

Zwei NPD-Männer hinter dem Banner: "Gemeinsam für unsere Heimat Franken!" Maik Langen (rechts), Alexander Neidlein (Mitte)
Zwei NPD-Männer hinter dem Banner: Maik Langen (rechts), Alexander Neidlein (Mitte). Rainer Hatz ist hier nicht im Bild

Rechts läuft mit
Von Finn Sanders
Bereits vor der Demo fällt mir eine Gruppe von drei Männern ins Auge. Die drei stehen vor einem der Lautsprecher und unterhalten sich. Sie tragen schwarze Shirts. Einer der drei trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Heimat“, quer über der Brust. Ein Stichwort, das, sobald sich die Demo in Bewegung gesetzt hat, unübersehbar ist: „Gemeinsam für unsere Heimat Franken“ prangt auf dem Frontbanner. Ein harmloser Slogan? Ein kurzer Blick auf die Facebook-Seite der NPD Ansbach genügt, um festzustellen: Zwei Männer, die das Frontbanner tragen, sind Alexander Neidlein, Generalsekretär der NPD, und Maik Langen. Das ist der Mann mit dem „Heimat“-T-Shirt. Er war bei der Bundestagswahl 2021 für die NPD im Wahlkreis Ansbach angetreten. Auch der dritte Mann aus der Gruppe vor dem Lautsprecher findet sich auf der Website der NPD wieder: Rainer Hatz, Vorsitzender der NPD Bayern, ein Mann mit Seitenscheitel und Oberlippenbart. Hatz trägt an diesem Samstag ein Schild mit der Aufschrift „Wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“. Plötzlich? Das ist in seinem Fall fast ein bisschen lustig. Auch das Bündnis „Ansbach steht auf” beklagt auf seiner Website, dass Teilnehmer als „Rechtsradikale“ oder „Faschisten“ „diffamiert“ würden. Die drei Männer vor dem Lautsprecher sind bekannte Mitglieder der rechtsextremen NPD.

Foto: Finn Sanders, Laure Gottschalk, Maria Siepmann, Maximilian Fichtner, Niko Bakousis